Konzerne gleichen Psychopathen

(Rezension eines Wirtschaftsbuches "Ende der Konzerne“ von Joel Bakan, Europa Verlag, Leipzig 2005, 230 Seiten, 12,90 Æ, SZ 6./7.8.05)

Sie bestimmen, was wir essen, wie wir uns fortbewegen, amüsieren und informieren, womöglich sogar, was wir glauben. Die Rede ist von Großkonzernen, genauer: Von jenen börsennotierten Big Playern anglo-amerikanischen Zuschnitts, die heute soviel Macht besitzen wie früher allenfalls die Kirche oder die Krone. Wie aber sind die Kapitalgesellschaften dazu gekommen? Wer hat ihnen die Lizenz zur Weltherrschaft verliehen? Und wie lässt sich die entfesselte Kraft an die Kandare nehmen?

Joel Bakan hat diesen Fragen ein Buch gewidmet, das sich bemerkenswert von der populären Kapitalismusschelte abhebt. Denn der Juraprofessor aus Kanada seziert mit den Instrumenten der Rechtswissenschaft. Die Beweisaufnahme führt in die Anfänge der Industriealisierung. Geboren wurden die Kapitalgesellschaften vor 300 Jahren – mitten im Spekulantentum der Londoner Kaffeehäuser. Doch das englische Parlament erklärte sie bald als illegal. Erst mit dem Kapitalhunger der industriellen Revolution erfuhr die geächtete Unternehmensform eine Wiedergeburt. Per Gesetz wurden die Kapitalgesellschaften zur Rechtspersönlichkeit erhoben – ausgestattet mit bürgerlichen Rechten. Und damit begann der kometenhafte Aufstieg des Kapitalismus.

Wohl wußten die Regierungen um die Gefahren dieser Entfesselung und steuerten dagegen. Doch die Globalisierung befreit die Konzerne nun vom Gängelband der heimatlicen Aufseher und verleiht ihnen Allmacht. Das sei beunruhigend, könne aber gesetzlich nicht angefochten werden, stellt Bakan nüchtern fest. Dann holt er zum Gegenschlag aus und unterzeiht die verdächtige Rechtsperson des Großkonzerns einem psychologischen Gutachten. Bakans Befund ist niederschmetternd: Konzerne gleichen Psychopathen. Sie haben kein Mitgefühl, kein Verantwortungsbewußtsein und kein Gewissen. Sie bekämpfen jeden unerbittlich, der sich ihnen in die Quere stellt, und verdecken ihr egozentrisches Wesen hinter der Fassade der Corporate Social Responsibility.

Wohlgemerkt- die Anklage zielt auf die Unternehmensform, nicht auf die Lenker der Konzerne. Die spricht Bakan frei als rechtschaffene Menschen, die als Führungskraft gesetzlich nicht befugt sind, das Geld der Aktionäre für soziale Zwecke auszugeben. So milde der Kanadische Rechtsexperte mit den Personen an der Konzernspitze verährt, so scharf geht er mit dem System des Konzernkapitalismus ins Gericht. Gefahr im Verzug, lautet sein Fazit.

Als Beweis legt Bakan die zunehmende Besetzung des kommerzfreien Gemeinwesens durch die Wirtschaft vor: die Manipulation der Werbung, die Unterwanderung der Schulen durch Firmensponsering, die Besitznahme öffentlicher Räume durch Einkaufszentren, die fortschreitende Privatisierung von Bildung, Gesundheit und Sicherheit. Da entpuppt sich die Kraft der Wirtschaft zur moralischen Selbstregulierung als Einbildung.

Was also tun? Die Konzerne wie einst verbieten? Die Regulierung verschärfen? Auf die Macht der Kunden, Mitarbeiter und sogenannten Stakeholder vertrauen? All diese Korrektive seien nicht wrksam oder realistisch, meint Bakan. Vielmehr mahnt er das Prinzipielle an: Die Herrschaft der Konzerne ist nicht unantastbar, sie ist ihnen Kraft Gesetz erteilt, aber jederzeit zu widerrufen. Das sollten die Bürger nicht vergessen und sich erinnern, dass sie selbst ihrem Wesen nach sozial, moralisch und mitfühlend sind: "Keine gesellschaftliche Ordnung, die wesentliche Elemente der menschlichen Natur unterdrückt, hat auf Dauer Bestand – das gilt auch für die Unternehmensordnung.“

 

Gundula Englisch