Passauer Neue Presse/ Feuilleton 31.Juli 2010

Die hohe Kunst zu leben

Geiss Haejm ist Liedermacher, Künstler und Autor auf einem Selbstversorgerhof bei Zwiesel - Jetzt legt er sein Lebenswerk mit 600 Liedern vor

Er liebt die Donau und schwimmt gerne gegen den Strom: Helmut Geiss aus Zwiesel, hier beim Spaziergang nahe Niederalteich. (Foto: Strang)

Helmut Geiss übt sich in einer ganz besonderen Kunst. Er versucht so zu leben, dass er dem Planeten nicht schadet - und dass er glücklich und zufrieden ist. Das ist das große Werk, das er im Alter anstrebt, auf seinem kleinen Selbstversorger-Hof bei Zwiesel. Dort steht der 58-Jährige jeden Tag im Garten und arbeitet. Dort geht er gerne mit den Ziegen spazieren, nachdem er seinen Job als Internats- und Heimleiter an den Nagel gehängt hat.

Dort tut er weiterhin das, für das er bekannt ist: als Geiss Haejm unzählige Lieder schreiben und auf seiner Gitarre spielen, politische Schriften verfassen, malen und Leserbriefe abschicken. Das kann er nicht lassen. Jetzt hat er sein Gesamtwerk herausgebracht: 600 Lieder, ganz unkonventionell auf einer SD-Speicherkarte, dazu hat er Teile seiner politischen Schriften gebunden. Schweigen, so sagt er, kann er nicht. Das sieht man auch an seiner Homepage www.hgeiss.de - ein wildes Sammelsurium seiner vielfältigen Arbeiten, Schriften, Kunstwerke und Lieder. Sie quillt über, diese Seite, dabei zeigt sie nur einen kleinen Ausschnitt seines Schaffens.

Nach Tschernobyl wollte er aufhören

Bei einem Spaziergang im Nieselregen den Donaudamm bei Niederalteich entlang will er so klingen, als würde er gerne aufhören. Er sagt: ÆWenn ich mal schlau und vernünftig bin, dann mach ich keine Lieder mehr.“ Doch die Falten um seine Augen, in denen immer ein heller Funke glimmt, bilden ein faszinierendes Muster, sie kreuzen sich, malen Quadrate in das Gesicht, dessen Hautfarbe von viel Sonne und viel Natur zeugt. Die Falten erzählen so viel, dass man ihm nicht glauben will, dass er gerne mit dem Schreiben aufhören würde. Außerdem wollte er das schon einmal und hat es nicht durchgehalten. Nach Tschernobyl. Wenn die Leute das einfach hinnehmen, so dachte er vor knapp 30 Jahren, dann kann ich mit meinen Liedern nichts bewirken. Die Abstinenz hielt nicht lange.

Zu viel will aus ihm heraus. Mehr als 600 Lieder hat er schon geschrieben. Weitaus mehr, aber er hat einiges verworfen, weggeworfen. Weil man manchmal auch loslassen, entrümpeln muss, wie er sagt. Seit langem schreibt er seine Lieder in der niederbayerischen Mundart, in der er sich zu Hause fühlt. Dazu kam es in seiner Zeit in Berlin. Dorthin war er 1970 geflüchtet, um dem Militärdienst zu entgehen. Da sei ihm aufgefallen, wie negativ das Bild der Bayern sei, entweder kitschig, protzig oder dumm. Dem setzte er seine Musik in seiner Sprache entgegen. Ob es genutzt hat, weiß er nicht genau. Aufgetreten ist er schon lange nicht mehr, im Dezember 2004 stand er das letzte Mal auf der Bühne. Das war nie so seins. ÆIch weiß den Applaus schon zu schätzen“, schränkt er ein. Da hat er gute Momente erlebt. Aber auch schlechte. ÆDa sitzt du auf der Bühne und musst intelligent sein und lustig. Dabei geht’s dir gar nicht gut“. Dann kamen noch gesundheitliche Probleme dazu.

Manchmal juckt es ihn zwar in den Fingern, aber Ædie Leute können ja nicht genau in dem Moment zu mir rausfahren“. Die Momente gehen vorüber. Und damit auch die Chance, seine Lieder live zu hören, die teils unbequem sind, das Unrecht der Welt besingen, das Sterben von Soldaten, hungernde Menschen. Zum großen Teil wird der Alltag thematisiert, Gefühle wie Liebe und Lust. Ironisch singt er vom Menschsein, klingt mit seiner leicht nasalen Stimme, die nicht tief und nicht hoch ist, die ihre Töne irgendwo dazwischen sucht, manchmal ein bisschen wie ein Udo Lindenberg aus Zwiesel.

Die Kunst kommt über ihn wie der Regen

Die Phasen, in denen er malt, gehen auch vorüber. Seine Bilder sind Farbexplosionen auf Leinwand, unruhig, bunt, wild. Auf manchen sind Gesichter zu erkennen, abstrahierte Tierkörper, verzerrte Landschaften. Jahrelang habe er versucht, seinen Stil zu finden. Bis zur Erkenntnis: ÆMein Stil ist, dass ich keinen bestimmten Stil habe“, sagt er und schmunzelt. Es regnet. Das schreckt ihn nicht. Ein Naturtyp. Kunst kommt über ihn wie der Regen. Manchmal packt es ihn einfach, dann malt er viel.

Die letzte Schaffensphase ist schon eine Weile her, in der Zwischenzeit hat er Computergrafiken gemacht und Mobiles aus Naturmaterialien. ÆIch warte darauf, dass ich wieder Lust habe“, sagt er und schaut versonnen über die Donau. Er liebt diesen Fluss. Regelmäßig badet er in seinen kleinen Buchten, wollte eigentlich auch an diesem Tag. Aber es ist zu kühl. Manchmal geht er auch mittenrein. Dann schwimmt er gegen den Strom. Das geht schon, sagt er.

Lebenslang hungrig nach Wissen

Gegen den Strom schwimmt er auch mit seinen Briefen. 400 Leserbriefe hat er verschickt, die meisten an die PNP, weil er immer dort die Diskussion zu beleben versucht, wo er lebt, wie er sagt. Geiss Haejm schreibt seine Gedanken auf und wartet ein paar Tage, ob sie ein anderer auch hat und veröffentlicht. Wenn nicht, schickt er den Brief los. Er muss das tun, sagt er. Er wirkt kein bisschen verbittert, wenn er das sagt. Er wirkt freundlich, positiv. Kein Grantler, wie man ihn sich vorstellen könnte. Ein nachdenklicher Mensch.

Dass er so verrückt nach Wissen, nach Büchern ist, erklärt er durch die fehlende humanistische Schulbildung. Er habe nur die Glasmacherschule besucht. Viele Bekannte seien nach dem Studium gesättigt gewesen. Er sei hungrig. Zeit seines Lebens hungrig. Darum hat er jahrelang Nietzsche gelesen und Schopenhauer, bis er zu einem Philosophen gelangte, der ihm liegt. Epikur. Der die Lust am Leben in den Mittelpunkt stellt. Das ist das, was ihm jetzt wichtig ist. Sein Leben, das seiner Lieben, seiner Freunde und das des Planeten. 600 Lieder legen Zeugnis davon ab.

Caroline Strang

Hörproben: www.pnp.de/audio.