Lebenwollen

Opus 476/ 1996

 

Das Leben wird mit den Jahren enger. Wenn man auf die Welt kommt, hat man alle Möglichkeiten, zumin­dest grundsätzlich. In dem man sich für das eine oder das andere entscheidet, wird der Kreis der Möglich­keiten kleiner. Die Antworten, mit denen die Welt das Tun beantwortet, bestimmt zudem das zu­künftige Tun. Viele Träume und Ideale schlägt einem die Erfahrung aus dem Kopf. Und trotzdem reicht, was übrigbleibt, für ein gutes Leben.

 

Ach, ich hab geglaubt an so viel,

wenig ist mir geblieben,

und manches große Ziel

hat die Zeit abgerieben.

Soviel Träume sind mir verblasst,

soviele Dinge sind mir verhasst,

unverdaut liegt manches im Kropf,

und spukt manchmal im Kopf.

 

Habenwollen, Schöpfen aus Vollem,

Sammeln im Sack.

 

Ach, ich hab soviel erstrebt,

fast möcht ich´s verschweigen.

Es gab Chimären so viel,

hab kein Wort, sie zu beschreiben.

Hab die Wahrheit gesucht

und die Falschheit verflucht,

soviel Gutes hab ich gefühlt,

und im Dreck nach Schönem gewühlt.

 

Habenwollen, Schöpfen aus Vollem

Sammeln im Sack.

 

Ich hab soviel gefragt,

und so wenig erfahren,

und ich hab soviel Dinge gesagt,

die auch nicht klüger waren.

Soviel Theater, soviel Mühe,

bin heut nicht klüger wie Ochs und Kühe,

ich kann zwar reden wie ein Doktor,

doch bin ich noch immer der alte Tor.

 

Blendenwollen, mit Sprüchen mit tollen,

glänzend und hohl.

 

Und doch hab ich kein Grund,

über etwas zu klagen,

hab zu essen, bin gesund,

hab Arbeit an allen Tagen.

Hab ein Dach und einen Hut,

Frau und Kinder mit frischem Mut,

hab ne Ziege und ein Stück Land

und fünf Finger an jeder Hand.

 

Lebenwollen, Lieben und Tollen

Lachen und Tun.