Opus 395/ 1991
„Erwarte nichts. Heute, das ist dein Leben!“
Dieser Satz von Tucholski war für mich als Fünfzehnjähriger, der seine
überzogenen Erwartungen allesamt in der Zukunft angesiedelt hatte, eine
Offenbarung. Ebenso die Antwort eines unbekannten Hippies, den ich auf einer
Trampfahrt nach dem Sinn des Lebens fragte. Die lapidare Antwort: Der Sinn des
Lebens ist zu leben! (Nicht mehr und nicht weniger!)
Für einen von der Kirche verführten Buben,
dem man als Lebensziel einen Himmel eingeblasen hatte, war diese einfache
Erkenntnis geradezu revolutionär, auch heute, fast drei Jahrzehnte später, ist
sie noch gültig.
Sie hat mich gelehrt die Freuden des
Alltages zu genießen, die es für einen denkenden und fein empfindenden Menschen
reichlich gibt, wenn man seine Erwartungen auf einem realistischen Maß hält und
das Schöne der Welt zu sehen gelernt hat. Ich genieße das Vorhandene (auch die
vorhandenen Aufgaben und Möglichkeiten) und das war bislang immer unendlich
mehr, als ich nutzen konnte. Ich freue mich am Funktionieren meines Körpers und
aller meiner Sinne. Leide ich Schmerzen oder ist die Gegenwart kaum erträglich,
dann erinnere ich mich der reichen Glücksernte meiner Vergangenheit oder ich
tagträume von zukünftigen Freuden, die auszumalen ich noch immer genug Einfalt
und Vorstellungskraft besitze. Und noch eine Glücksquelle habe ich mir seit
langem erschlossen: das Glück der anderen! Ich kenne keinen Neid und vergönne
jedem was er hat und freue mich an der Freude meiner Mitmenschen. Doch meine
Mitfreude macht auch an Tieren und Pflanzen nicht halt. Und so mache ich mir
gute Tage.
Das Leben ist lang,
sagen die Kinder.
Es ist kurz, sagen die Alten.
Und der Tod? Ach der,
vergiß ihn!
Wenn er kommt, sind wir schon fort,
er ist nur ein Wort.