Die Ablasshändlerin von Berlin
Das Deal-Gesetz von Justizministerin Brigitte Zypries macht das Strafrecht zur Ware
Von Heribert Prantl
Papst Leo X., der in ständiger Geldnot war, hat einst den Ablasshandel eingeführt; die Gläubigen konnten sich zu festen Tarifen ganz oder teilweise Sündenvergebung erkaufen. Fünfhundert Jahre später wird dieses System ins deutsche Strafrecht übertragen: Bundesjustizministerin Zypries hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem der "Deal" im Strafprozess, also das Aushandeln von Strafen, großzügig erlaubt und geregelt wird. Der Deal ist am geltenden Recht vorbei in der Praxis entwickelt worden; nun wird er legalisiert und ausgeweitet. Die Gründe dafür sind praktischer Natur, so wie damals, vor fünfhundert Jahren, auch: Der Staat hat kein Geld, die Strafverfahren sollen schneller und billiger, also die Beweisaufnahme möglichst durch ein Geständnis ersetzt werden. Dafür lässt der Staat bei der Strafe mit sich reden: Hat der Täter genug Geld, ist die Sache aus der Welt. So war es damals mit den Sünden, so ist es heute mit der Strafe. Aus dem Richter wird ein Kaufmann, so wie damals aus dem Priester ein Händler wurde. Man nennt das die Ökonomisierung des Strafverfahrens. Es ist bezeichnend, dass dieser Deal schon heute in den Verfahren gegen Großmanager besonders gut funktioniert. Damals, vor fünfhundert Jahren, zerbrach an solchem Ablasshandel der Glaube an die Kirche; heute wird daran der Glaube an das Recht zerbrechen. Wenn Gerichte nicht mehr aufgrund einer Verhandlung entscheiden, sondern nur noch über die Entscheidung verhandeln, wird das Recht zur Handelsware. Wenn die Strafe aber zu einer Handelsware wird, verliert das Strafrecht seine Bedeutung als handlungsprägende Norm. Das Deal-Gesetz solle, so hat die Justizministerin versprochen, "Rechtssicherheit" bringen; das Gegenteil wird der Fall sein. Man darf freilich nicht blauäugig sein: Ein Strafverfahren ist nicht der Ort überirdischer Gerechtigkeit. Absprachen der Prozessbeteiligten hat es immer gegeben und wird es immer geben. Wenn es in den vergangenen Jahren immer mehr solcher Absprachen gegeben hat und diese sich auch auf die Strafe bezogen haben, dann war das ein Akt der Notwehr der überlasteten Justiz. Die Personal- und Sachausstattung der Gerichte ist vielfach so jämmerlich, dass große Wirtschaftsstrafprozesse gar nicht verkraftet werden können. Wenn nun aber dieser bisherige Akt justizieller Notwehr per Gesetz zum Normalfall gemacht wird, ist das eine juristische Kapitulation vor dem Unrecht. Das Gesetz darf die Deal-Praxis nicht exzessiv ausweiten, sondern muss sie einhegen: Einen Deal darf es, wenn überhaupt, nur beim "qualifizierten Geständnis" geben - also dann, wenn es der Nachprüfung zugänglich ist und nach der Überzeugung des Gerichts der Wahrheit entspricht. So steht es in dem (besseren) Gesetzentwurf des Bundesrats. Und: Wenn das Opfer dem Deal widerspricht, muss sich das Gericht damit auseinandersetzen. Ein Deal-Gesetz soll die Grenzen von Urteilsabsprachen aufzeigen. Das Zypries-Gesetz reißt diese Grenzen ein.
Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.22, Samstag, den 27. Januar 2007 |