Der nächste Deal
Die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung ist Anstiftung zur Falschaussage per Gesetz
Von Heribert Prantl
Der Kronzeuge ist der Schachterl-Hanswurst der deutschen Kriminalgesetzgebung. Vor fast zwanzig Jahren wurde er mit Brimborium und großen Erwartungen aus der Kiste gepackt und den Gerichten auf den Tisch gestellt. Nach zehn Jahren hat dann der Gesetzgeber den Kronzeugen, der sich juristisch nicht bewährt hatte, wieder eingepackt. Und nun, acht Jahre später, holt ihn die Regierung aus der Requisitenkiste wieder heraus. Der Kronzeuge passt nämlich in die Zeit: Er ist eine Symbolfigur für die Merkantilisierung des Strafprozesses.
Die Kronzeugenregelung, die jetzt im allgemeinen Strafrecht wieder eingeführt werden soll, macht den Straftäter zu einem unehrlichen Kaufmann: Er taucht andere hinein, und wäscht sich dadurch selber ein wenig weiß. Der Kronzeuge, der in Wahrheit kein Zeuge, sondern ein Beschuldigter ist, verkauft nämlich echt oder vermeintlich wichtige Informationen über andere Täter und Straftaten und erhält dafür einen Straferlass.
Diese Kronzeugenregelung gehört zum Formenkreis des Deals, einer justizpolitischen Geschäftsidee der letzten 25 Jahre. Sie macht den Gerichtssaal zum Markt, auf dem man die Strafen aushandelt. Deal heißt: Die Strafe wird kommerzialisiert. Es gibt erstens den Deal mit dem Angeklagten, der über sich selbst (mehr oder weniger) auspackt, sich also verabredungsgemäß selbst belastet, ein Teil-Geständnis über seine Taten ablegt und dafür die ausgehandelte Strafe erhält; man kennt das aus den Wirtschafts-Strafprozessen. Es handelt sich um die feinere Variante des Deals.
Die zweite, die unfeine Variante des Deals ist die Kronzeugenregelung; es handelt sich um einen Deal mit einem Beschuldigten, der über andere auspacken soll, der also nicht sich, sondern andere belastet. Der nun vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf weitet diesen Handel im Vergleich zu den früheren Regelungen noch erheblich aus: Die Taten, über die der "Kronzeuge" - mit strafmildernder Wirkung für sich - aussagen kann, brauchen mit seiner eigenen Tat überhaupt nichts zu tun zu haben.
Und was soll daran schlecht sein?, fragen die Kriminalisten. Die Gewerkschaft der Polizei etwa hält diesen Ablasshandel, diesen Deal zu Zwecken der Aufklärung für "unverzichtbar". Die Staatsanwälte, die Richter und Rechtsanwälte sind klar dagegen. Also lautet die Frage: Warum soll denn der Staat einen Verbrecher nicht laufen lassen, wenn er mit dessen Hilfe fünf andere fangen, wenn er vielleicht gar einer ganzen Bande habhaft werden kann - womöglich Terroristen? Warum soll der Staat so ein lukratives, sicherheitsdienliches Geschäft nicht machen? Die Antwort: Abgesehen von allen Erwägungen zur Gerechtigkeit schon deswegen nicht, weil die Kronzeugenregelung in der Praxis nicht so schön funktioniert wie in Theorie und Wunschvorstellung. Zuerst freuen sich zwar die Polizisten über angebliche Aufklärung, später klagen die Juristen über Angaben, die sich als nicht belastbar, als Falschbelastung, als Unsinn und Märchen herausstellen. Mit einer gesetzlich verankerten Kronzeugenregelung steigt die Gefahr, dass ein "Kronzeuge" sich wichtig macht und einfach das erzählt, was die Ermittler hören wollen.
Wer glaubt, dass es die Sache ändert, wenn man Falschangaben des Kronzeugen ausdrücklich unter Strafe stellt (wie dies der aktuelle Gesetzentwurf tut), der kennt die Praxis und die Schwierigkeiten des Strafprozesses nicht. Es wird kaum möglich sein, einem "Kronzeugen" die vorsätzliche Falschaussage nachzuweisen und noch schwieriger, ihm den Straferlass wieder zu entziehen. Die Kronzeugenregelung ist daher, das lehrt die Erfahrung aus vielen Drogenprozessen, eine gesetzliche Anstiftung zur Falschaussage. Sie ist ein Gerechtigkeitsrisiko und eine Aufklärungsfalle.
Kurz gesagt: Die Kronzeugenregelung ist unnütz und riskant - und daher falsch.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.113,
Freitag, den 18. Mai 2007
, Seite 4