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Die Unverfrorenen

Von Hendrik Munsberg


Woran erkennt man Ökonomen? Sie heißen Josef Ackermann oder Dieter Zetsche und steuern große Konzerne. Sie heißen Dieter Hundt oder Jürgen Thumann, sind Chefs mächtiger Wirtschaftsverbände und raten der Politik ständig zu Reformen. Sie heißen Hans-Werner Sinn oder Klaus Zimmermann, leiten wichtige Forschungsinstitute - und wenn sie via Medien Ratschläge erteilen, dann lassen sie sich gern als "Deutschlands klügste Ökonomen" titulieren.


Ökonomen sind Wirtschaftsexperten. Sie eint die Überzeugung, dass der Wohlstand einer Nation an drei Grundvoraussetzungen gebunden ist: Privateigentum, Vertragsfreiheit und ungehinderten Gütertausch. Ökonomen trauen Unternehmern mehr zu als Beamten. Und weil in der Politik notorisch gegen ihre Normen verstoßen wird, predigen Ökonomen unablässig, dass unser Land "fit gemacht werden" müsse für die Zukunft - was oft bedeutet, dass Millionen von Menschen sich mehr bescheiden sollen.


Führung ohne Haftung


Und es gibt noch eine Gemeinsamkeit, an der man Ökonomen erkennt: Sie finden es offenbar in Ordnung, wenn einer der Ihren die Früchte seiner Arbeit erntet, aber nie selbst haftet, wenn er Fehler begeht, und seien diese noch so krass. Sogar wenn, wie jetzt, dem Weltfinanzsystem der Kollaps droht oder wenn Firmen an die Wand gefahren werden - nie gibt es in den Führungsetagen der Wirtschaft einen Verantwortlichen, der für sein Versagen zahlen müsste, der in Haftung zu nehmen wäre. Plötzlich wurzelt die Misere dann in lückenhafter staatlicher Aufsicht, den Schaden hat gefälligst die Allgemeinheit zu tragen.


Durch solche Unverfrorenheit hat die ökonomische Elite dafür gesorgt, dass die hiesige Wirtschaftsordnung, die als "soziale Marktwirtschaft" einst höchst populär war, für viele Bürger jede Strahlkraft verloren hat. Vor allem in Ostdeutschland, aber auch im Westen sympathisieren immer mehr Menschen mit dem Ideal einer sozialistischen Planwirtschaft, obgleich deren Konkursanfälligkeit erwiesen ist. Doch die größten Widersacher des Kapitalismus sind nicht mehr Sozialisten und Kommunisten - es sind die Wirtschaftsvertreter selber. Ungeniert missachten sie eherne ökonomische Gebote, wenn es dem eigenen Vorteil dient.


Seherisch hat Walter Eucken, der geistige Vater der sozialen Marktwirtschaft, gemahnt: "Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen." "Haftung", so schrieb der Freiburger Ordoliberale, sei Voraussetzung für eine "Gesellschaftsordnung, in der Freiheit und Selbstverantwortung herrschen." Doch dieses Gebot, das in der Wirtschaftswissenschaft auch "Konnexitätsprinzip" heißt, wird gerade von Ökonomen gröblich verletzt. Ausdrücklich fordert dieses Prinzip: Jeder muss die Folgen seines Tuns im Guten, aber auch im Schlechten tragen. Wer nur Erfolge verbucht, für Fehler aber nie finanziell aufkommen muss, der neigt dazu, zu hohe Risiken einzugehen. Und Ressourcen zu vergeuden.


Der Fall des Jürgen Schrempp, des ehemaligen Chefs von Daimler-Chrysler, war ein Musterbeispiel für die Missachtung des Konnexitätsprinzips und die Fehlanreize, die daraus erwachsen. Kühn entwarf Schrempp seine Welt AG, die bald im Fiasko endete. Doch wie hat Schrempp für sein Versagen bezahlt? Gewiss, er musste seinen Posten räumen und gilt als gescheitert. Finanziell aber steht er heute als Multimillionär glänzend da, während nicht wenige Mitarbeiter Job und Einkommensquelle verloren. Die Chancen- und Risikoverteilung à la Schrempp ist auf den Chefetagen deutscher Konzerne zum Regelfall geworden. Zuletzt wurde sie vorgeführt von Ulrich Hartmann, dem scheidenden Aufsichtsratsvorsitzenden der IKB-Bank, deren Manager sich auf den Weltfinanzmärkten grandios verspekulierten. "Wir hatten keine Chance, das Risiko zu erkennen", befand Hartmann. Fall erledigt.


Für sich selbst haben die Top-Manager das Konnexitätsprinzip gründlich ausgehebelt: In kürzester Zeit verdienen sie derart astronomische Summen, dass sie ausgesorgt haben, sobald sie ihren ersten Vierjahresvertrag als Vorstand ergattern. Wer vorzeitig scheitert, wird üppig ausbezahlt oder abgefunden. Damit nicht genug: Gegen Schadensersatzforderungen, die sie als Folge eigenen Missmanagements zu fürchten hätten, sind Vorstände abgesichert - durch sogenannte Directors & Officers-Policen, eine Art Vollkaskoschutz gegen Managementversagen. Selbst für die Prämien kommt in der Regel das Unternehmen auf.


Wen wundert es da, dass Menschen unter solchen Bedingungen kein gesundes Risikobewusstsein mehr entwickeln? Und sofort versteht man auch besser, warum hochbezahlte Bankmanager seelenruhig bleiben, während ihre Mitarbeiter rund um den Globus undurchsichtige Milliarden-Risiken handeln. Jetzt glaubt sogar Josef Ackermann nicht mehr an die Selbstheilungskräfte des Marktes, weil nun die Notenbanken mit Milliarden-Liquiditätsspritzen helfen müssen.


Was die Menschen hierzulande besonders erzürnt: Während sich Topmanager immer ungenierter über die Regeln fairen Wirtschaftens hinwegsetzen, werden die Arbeitslosen strengen ökonomischen Regeln unterworfen. Als Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Agenda-Politik erfand, spielte das Konnexitätsprinzip eine Schlüsselrolle: Die Sozialsysteme sollten vor Ausbeutung geschützt werden, also wurden die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose verschärft und die Bezugszeiten des Arbeitslosengeldes I eingeschränkt. Die staatliche Hilfe bekam ein Gegengewicht - die Pflicht des Empfängers, im Zweifel auch schlechter bezahlte Arbeit zu verrichten. Die Idee ist keineswegs abwegig, wenn man die scheinbar unerschöpflichen Mittel der Sozialkassen davor schützen möchte, leichtfertig in Anspruch genommen zu werden. Sie gebiert aber soziale Ungerechtigkeit, wenn Besserverdiener dieselben Maßstäbe einfach ignorieren dürfen.


Im Zweifel bezahlen die anderen


Vor allem Ökonomen loben Schröder bis heute für seine mutige Reformpolitik, nur habe er versäumt, dem Volk seine Politik verständlich zu machen. Die Wahrheit ist, dass das Volk sehr gut verstand, was geschah: Die Politik knöpfte sich die Schwachen der Gesellschaft vor, um die ausufernde Staatsverschuldung einzudämmen. Aber warum wurden die Starken dabei zuverlässig verschont? Und weshalb dürfen sie in eigener Sache die ökonomische Vernunft mit Füßen treten?


Hat man von Deutschlands klügsten Ökonomen je gehört, dass sie solche Fehlentwicklungen geißeln? Die asymmetrische Risiko- und Chancenverteilung in dieser Gesellschaft ist nicht nur Quelle sozialen Unrechtsempfindens, das längst die politische Ordnung aufweicht. Wenn die einen nur verdienen und die anderen im Zweifel bezahlen, dann verweist das auch auf den schweren Defekt einer Marktwirtschaft, welcher der Ressourcenvergeudung Vorschub leistet. Es wäre verdienstvoll, wenn auch Ökonomen darauf aufmerksam machten, dass hier akuter Reformbedarf besteht. Und dass sich einmal diejenigen bescheiden sollten, die sich das wirklich leisten könnten.


Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.80, Samstag, den 05. April 2008 , Seite 4
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