Kommentar 19.1.09
Israel hat aus Gaza ein zweites Somalia gemacht
Von Carsten Kühntopp, ARD-Hörfunkstudio Amman
Jetzt, wo die Waffen schweigen, wird für die Palästinenser im Gazastreifen das ganze Ausmaß der Zerstörungen sichtbar. Die Menschen stochern durch die Trümmer, ziehen Leichen hervor, setzen die Toten bei. Es gibt mehr als 1300 Todesopfer, Hunderte davon sind Kinder. Kaum vorstellbar, dass aus so viel Zerstörung, aus so viel Bösem, jemals etwas Gutes erwachsen kann. Deutsche im Einsatz gegen Waffenschmuggel? Die Israelis sagen, nun müsse der Waffenschmuggel in den Gazastreifen unterbunden werden. So wolle man eine Wiederbewaffnung von Hamas und weiteren Raketenbeschuss verhindern. Die Bundeskanzlerin sieht das ähnlich, wie sie in Scharm el-Scheich und Jerusalem sagte. Offenbar spielt Angela Merkel mit dem Gedanken, technische Hilfe, Beobachter, vielleicht sogar die Marine zu schicken. Die Kanzlerin hat aus den fürchterlichen letzten drei Wochen nichts gelernt. Es geht nicht darum, dass Palästinenser Raketen nach Südisrael geschossen haben. Das war nur der Vorwand, den die Israelis selbst provozierten, mit ihrem kalkulierten, massiven Bruch der Waffenruhe Anfang November. Tatsächlich war der Krieg ein unmissverständliches Zeichen, was denen droht, die sich Israel widersetzen. EU setzt auf die falsche Politik Israels Abriegelung des Gazastreifens begann 1991, vor den ersten Selbstmordanschlägen, und gipfelte vor zwei Jahren in einer völligen Blockade. Die Europäische Union unterstützte diese Politik, ihr Kalkül war folgendes: Wenn die Menschen im Gazastreifen immer tiefer auf Subsistenzniveau gedrückt werden, lehnen sie sich irgendwann gegen die Hamas auf - und dann kann Machmud Abbas, der gefügige palästinensische Präsident, wieder Einzug in Gaza halten. In der Weltgeschichte gab es das zuvor noch nie: Nicht etwa der Besatzer, Israel, wird mit Sanktionen belegt, sondern der Besetzte, die Palästinenser. In Brüssel, in den europäischen Hauptstädten, glaubte man allen Ernstes, dass es Frieden und Sicherheit für Israel bringt, wenn man anderthalb Millionen Menschen an seiner Südwestflanke die Chance nimmt, ein Leben in Würde zu führen, wenn man ihre Wirtschaft zerstört und sie gezielt zu Wohlfahrtsempfängern macht. Gaza-Abriegelung ist völkerrechtswidrig Israels Politik gegenüber den Palästinensern bedroht die Stabilität des östlichen Mittelmeers und der umliegenden Länder. Der Bundeskanzlerin muss klar werden: Es bringt nichts, an den Symptomen herumzudoktern, also dem Waffenschmuggel - man muss die Krankheit angehen, also die Blockade und die seit 1967 andauernde Besatzung. Die Abriegelung des Gazastreifens ist völkerrechtswidrig und kontraproduktiv und muss beendet werden, ein für alle Mal. Israels Präsident Shimon Peres erzählt seit Jahren, dass aus Gaza ein zweites Singapur werden könnte; doch das, was sein Land bisher in Gaza angerichtet hat, sieht eher nach einem zweiten Somalia aus. |