sz 25.1.09
  Foltern für die Freiheit
  Abu Ghraib und Guantanamo sind keine Ausnahmefälle
  
  Was dieses Buch enthüllt, ist eine Schmach für die USA, ein wahrhaft
  erschreckender Befund. Denn Egmont R. Koch weist anhand akribischer Quellenarbeit
  nach, dass es sich bei den Folterungen in Abu Ghraib und Guantanamo nicht
  um bedauerliche Einzelfälle und Entgleisungen handelt. Denn diese
  Fälle stellen nur einen Bruchteil der Menschenrechtsverletzungen dar,
  die sich die USA in ihrem "Krieg gegen den Terror" geleistet haben, sodass
  der 83-jährige ehemalige Präsident Jimmy Carter meinte: "Unser
  Land hat erstmals in meinem Leben die Prinzipien der Menschenrechte
  aufgegeben."
  Sollte jemand die PR-Sprüche der mittlerweile abgetretenen Regierung
  von George W. Bush je geglaubt haben ("Diese Regierung foltert nicht!"),
  so wird er nun gründlichst eines Besseren belehrt. Koch führt den
  Nachweis, dass "kreative Verhörtechniken" - Bushs Terminus für
  physisches und psychisches Foltern - nach dem 11. September 2001 systematisch
  und in großem Stil in Gefängnissen und Lagern gegen (vermeintliche)
  Terroristen angewandt wurden: Scheinertränken, totale Isolation,
  Schlafentzug, Hängefolter, Drogeneinsatz - alles mit Wissen und Billigung
  der US-Regierung. Dienlich war dabei ein Folterhandbuch der CIA mit dem Codenamen
  "Kubark", das Diktaturen und Geheimdienste in aller Welt
  benützen.
  
  Kochs Recherchen ergaben, dass allein 2002 die CIA Hunderte Verdächtige
  in Lager und Gefängnisse rund um den Globus verschleppt hat; in
  Länder, die zur "Kooperation" bereit waren und "deren Geheimpolizei
  sich mit Folter bestens auskennt", schreibt er, etwa Saudi-Arabien und Pakistan.
  Etliche Inhaftierte in den "geheimen CIA-Gulags" wurden zu "Geistergefangenen"
  ohne offizielle Registriernummern gemacht, "um spätere Nachforschungen
  des Roten Kreuzes unmöglich zu machen". Sollten diese ghost detainees
  "bei Folterungen ums Leben kommen, ließen sich Leichen und Spuren leicht
  beseitigen".
  
  Koch geht auch den historischen Wurzeln der offiziell stets bestrittenen
  Folterpraxis nach und landet beim Nationalsozialismus. Die Amerikaner engagierten
  nach dem Krieg einige von Hitlers Experten, etwa den Chemiker Friedrich Hoffmann
  oder Walter Schreiber, der für Menschenversuche in KZs verantwortlich
  war. Sie halfen den USA zur Zeit des Kalten Kriegs, einen
  politisch-militärisch-wissenschaftlichen Komplex der Folterforschung
  aufzubauen. Regierung, CIA, Armee, Krankenhäuser und Hochschulen arbeiteten
  am "Manhattan-Projekt der Verhaltensmanipulation" (Koch) zusammen, um
  herauszubekommen, wie Menschen zu willenlosen Werkzeugen gemacht werden
  können. So wurde an Patienten, ohne sie aufzuklären, mit Psychodrogen
  herumexperimentiert, zum Teil mit tödlichem Ausgang. Ferner ließ
  die CIA mittels Gehirnoperationen erforschen, ob sich damit "das Gedächtnis
  auslöschen lässt, damit sich Gefangene nicht an ihre Folter
  erinnern".
  
  Was zunächst als Forschung zur Abwehr kommunistischer Foltermethoden
  legitimiert wurde, wandten CIA und Pentagon bald selbst aktiv an: im
  Spionagekrieg mit der Sowjetunion, im Koreakrieg oder in Vietnam, wo die
  CIA 1967 im Rahmen der Operation "Phoenix" Verhör- und Foltertechniken
  einsetzte, denen laut Koch "Tausende (möglicherweise mehr als
  zwanzigtausend) Vietnamesen zum Opfer fielen" - meist Zivilisten, die man
  der Konspiration mit den Kommunisten verdächtigte. Der ehemalige
  "Phoenix"-Officer Barton Osborne berichtete später: "Ich wüsste
  von keinem Häftling, der während der Durchführung all dieser
  Operationen ein Verhör überlebt hätte. Sie starben alle."
  Dass die Leichen spurlos zu entsorgen waren, ergab sich für die CIA-Leute
  aus den Verhaltensempfehlungen des Kubark-Folterhandbuchs. Disposal of the
  bodies nannte man das.
  
  Dieses Buch ist schockierend, die realistisch-brutalen Schilderungen von
  Gefolterten sind kaum zu ertragen, aber nötig, um Empörung über
  das Unrecht zu erzeugen, das Bushs Regierung zu verantworten hat. Koch glaubt,
  dass es dem abgewählten US-Präsidenten, seinem Vize und dem
  Verteidigungsminister "wohl auch um Rache" ging und sie deshalb im Krieg
  gegen den Terror auf die harte Tour setzten, "auch um den Preis, amerikanisches
  Gesetz zu brechen und das weltweite Ansehen des Landes zu ramponieren". Nun
  will Barack Obama die USA als moralisch-politische Führungsmacht
  rehabilitieren. Ob das gelingen kann? NIKOLAUS GERMAN
  
  EGMONT R. KOCH: Die CIA-Lüge. Folter im Namen der Demokratie. Aufbau-Verlag,
  Berlin 2008. 224 S., 19,95 Euro.