SZ 13.12.06

Israels Atomarsenal

Beredtes Schweigen

Wie Israel lernte, die Bombe zu lieben - die Geschichte eines Geheimnisses, das fast jeder kennt.

Von Kurt Kister

Am Hafen von Haifa dockt ein U-Boot der Dolphin-Klasse an, das auch mit Atomwaffen bestückt werden könnte.

Foto: Reuters

Das englische Wort ambiguity steht für Mehrdeutigkeit, Unklarheit. In der Politik kommt es selten vor, dass eine Regierung, ganz zu schweigen von vielen unterschiedlichen Regierungen über Jahrzehnte hinweg, offiziell eine Politik der Unklarheit verfolgt. In Israel ist dies so, zumindest in einem bestimmten Fall: Seit langem gibt kein israelischer Premierminister und kein General zu, dass das Land über Nuklearwaffen verfügt.

Abgestritten allerdings wird dies genauso wenig. Die offizielle Formulierung, die jetzt auch wieder Israels Botschafter in Deutschland, Schimon Stein, benutzt hat, lautet so: "Israel hat immer gesagt, dass es nicht als erstes Land Atomwaffen in der Region einführen (auch: einsetzen) wird." Dieses Jein wird im Diplomatenjargon die "Politik der Mehrdeutigkeit" (policy of ambiguity) genannt.

Der Fall Vanunu

Eigentlich ist diese Politik spätestens seit dem Oktober 1986 unsinnig geworden. Damals erschien in der Sunday Times eine ausführliche Geschichte über Israels Kernwaffenarsenal. Der Informant war ein ehemaliger Beschäftigter des Nuklearkomplexes Dimona in der Negev-Wüste. Mordechai Vanunu berichtete dem Londoner Blatt über Plutoniumproduktion und Waffenherstellung.

Der Mossad, Israels Geheimdienst, lockte Vanunu später mit Hilfe einer blonden Romeo-Agentin von England nach Italien, von wo aus Vanunu nach Israel verschleppt wurde. Dort machte man ihm wegen Landesverrats den Prozess. Nach 18 Jahren Haft wurde er im April 2004 entlassen. Heute lebt Vanunu, der zum Christentum konvertierte, unter strengen Sicherheitsauflagen in einem Gebäude der St.-Georgs-Kirche in Jerusalem.

Israels Atomprogramm geht zurück auf den ersten und langjährigen Premier David Ben-Gurion. Mit Hilfe eines damals jungen Mannes namens Schimon Peres wurde eine Kooperation mit französischen Wissenschaftlern und Offizieren in Gang gebracht. Ben-Gurion wollte die ultimative Waffe, weil er glaubte, nur sie könne verhindern, dass Israel im schlimmsten Fall von seinen arabischen Nachbarn vernichtet würde.

Israels Atomprogramm geht zurück auf den ersten und langjährigen Premier David Ben-Gurion. Mit Hilfe eines damals jungen Mannes namens Schimon Peres wurde eine Kooperation mit französischen Wissenschaftlern und Offizieren in Gang gebracht. Ben-Gurion wollte die ultimative Waffe, weil er glaubte, nur sie könne verhindern, dass Israel im schlimmsten Fall von seinen arabischen Nachbarn vernichtet würde.

Die Franzosen strebten damals selbst nach der Bombe und hatten - anders als das bis dahin exklusive Nukleartrio USA, Großbritannien und die Sowjetunion - keine Vorbehalte gegenüber dem israelischen Ansinnen. Nach dem Suezkrieg von 1956 versprach der damalige Pariser Premier Guy Mollet den Israelis den nötigen Technologie- und Materialtransfer, um den Bau von Dimona zu ermöglichen.

Die Franzosen beendeten 1962 ihre nukleare Zusammenarbeit mit Israel. Mossad-Leute um den berühmten Spion Rafi Eitan besorgten daraufhin Uran beziehungsweise Uranoxid von einem mit Israel sympathisierenden Nuklearunternehmer in den USA sowie von einem belgischen Bergwerkskonzern. Vermutlich 1967 baute Israel die erste funktionsfähige Atombombe.

Mindestens 75 Sprengköpfe

Zuvor hatte US-Präsident Kennedy auf Inspektionen des Reaktors Dimona gedrängt, die aber die Israelis zunächst abbogen, um später mittels Täuschungsmanövern die Inspektoren ins Leere forschen zu lassen. Präsident Johnson, Kennedys Nachfolger, stand dem israelischen Atomprogramm deutlich aufgeschlossener gegenüber - so aufgeschlossen, dass er durch den Verkauf von Phantom-Kampfflugzeugen die israelische Luftwaffe mit geeigneten Trägermitteln für die Atombomben ausstattete.

Durch eine enge nukleare Zusammenarbeit mit dem damaligen Apartheidsstaat Südafrika machte Israel in den siebziger Jahren große Forschritte in der Atomwaffentechnik. Vermutlich war Israel an zwei Atomwaffentests der Südafrikaner über dem Indischen Ozean beteiligt. Heute besteht Israels Atomarsenal aus mindestens 75, möglicherweise auch aus etlichen hundert Sprengköpfen.

Neben Jagdbombern verschiedener Typen können als Trägerwaffen ballistische Raketen mit Reichweiten von 500 beziehungsweise 1500 Kilometern verwendet werden. Es gab auch durchaus glaubwürdige Berichte, dass drei in den Jahren 1999 und 2000 aus Deutschland gelieferte U-Boote für nukleare Bewaffnung ausgerüstet worden seien.

Zwar findet man keinerlei konkrete Aussagen zur nuklearen Einsatzdoktrin Israels. Aller Wahrscheinlichkeit nach aber werden die Kernwaffen auch heute noch als Mittel der letzten Abschreckung gesehen. Besonders bedroht fühlt sich das kleine Land immer dann, wenn einer der potentiellen Feinde selbst Nuklearwaffen entwickelt.

Israel hat, wie das in der militärpolitischen Sprache so schön heißt, keine "strategische Tiefe", sodass ein mit taktischen Kernwaffen unterstützter Angriff das Ende des Staates Israel bedeuten könnte. Solche Befürchtungen führten 1981 zum israelischen Luftangriff auf den irakischen Atomreaktor Osirak. Es ist ungewiss, ob und wie Israel reagieren würde, falls Iran dem Bau von Kernwaffen näherkommt.

Im Februar 2000 gab es die erste Debatte in der Knesset über das Atomwaffenprogramm. Sie war damals angestoßen worden von Abgeordneten arabischer Herkunft. Trotzdem schweigt das offizielle Israel noch immer. Wer sich trotzdem einen Überblick über den Stand der Dinge verschaffen will, der kann die Homepage des "Verräters" Vanunu anklicken. Unter www.serve.com/vanunu findet sich viel zu Israels Kernwaffen und der Politik der Mehrdeutigkeit.