zu Das
Gesicht der Bundesrepublik
Wenn das Sein das Bewusstsein bestimmt, dann braucht sich niemand über das
heute so viel gescholtene uniforme und traurige Bewusstsein der Massen zu wundern.
„Lebst in einer Hühnersteing, wirst auch bald a Hehndal sei“, sang Arik Brauer
vor vielen Jahren. Die großstädtische Architektur ist für Menschen wie ein
Keulenschlag, Gewalt und Vergewaltigung in Beton gegossen. Heinrich Zilles
berühmter Satz "Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genau so töten
wie mit einer Axt", hat fast etwas nostalgisches, denn die heutigen
Wohnverhältnisse gleichen eher einem Dampfhammer.
Ich habe einmal ein paar Jahre in einem Abrisshaus der Gründerzeit in Kreuzberg
gelebt und der hygienischen Schrecklichkeiten könnte ich viele aufzählen. Doch
verglichen mit den uniformen Monsterbauten in den Trabantenstädten, hatte aber
alles noch ein menschliches Maß. Es gab beinah alles Lebensnotwendige in der
Straße, kleine Läden aller Art, Arztpraxen, Kneipen. In den Fenstern lehnten
die Alten, die Fenstergucker, die das Treiben im Viertel interessierte. In den
„Hühnersteigen“ der Hochhäuser interessiert sich niemand mehr für irgendwen,
die modernen elektronischen „Fenster“ werden immer größer und flacher und
ersetzen Nachbarschaft und Realität. Wenn das Geld reicht versucht man
wenigstens einmal im Jahr dieser Hölle zu entfliehen, meist in die südlichere
Bettenburg, wo man sich zwei Wochen in fremden Betten tummelt und sich ein
wenig bedienen lässt und sehnsüchtig aufs Meer hinausschaut oder der kühlen
Freiheit auf hohen Bergen nachsinniert.
Ein Höhepunkt der Reise ist das Schlendern durch eine in Jahrhunderten
gewachsene alte Stadt, mit abgewetztem Kopfsteinpflaster, mit Häusern, von denen
keines dem anderen gleich ist und bei deren Bau der rechte Winkel nur über den
Daumen anvisiert wurde. Man staunt, mit der Eistüte in der Hand, und bekommt
eine Ahnung, was städtische Architektur auch sein kann.
|