10.11.19 Von
weitem alles golden glänzt
1989 habe ich auch ein paar Texte und ein Lied zum Thema Wiedervereinigung
geschrieben. Ich glaube, ich lag nicht falsch dabei. „1989 Bedingungsloser Anschluß Ich freue mich darüber, daß die
künstliche Grenze, die Deutschland 45 Jahre teilte, nun endgültig gefallen ist
und die Deutschen endlich wieder souverän sind (soweit man das bei den
multinationalen wirtschaftlichen und militärischen Verflechtungen überhaupt
sein kann). Über die Einzelheiten des Zusammengehens der beiden deutschen
Staaten bin ich weniger froh, denn in der Sorge, man könnte die gewonnene
Chance zerreden oder es könnte noch irgendetwas dazwischen kommen, haben sich
die Bürger der ehemaligen DDR zu leicht über den Tisch ziehen lassen. Sie
werden zweifellos bald zu spüren bekommen, daß auch ihr altes politisches
System eine Reihe von guten Seiten hatte, auch wenn es sich nur um eine
traurige Karikatur von Sozialismus gehandelt hat. Ich gestehe, mir noch vor einem Jahr
gewünscht zu haben (eine Vereinigung war ja damals noch undenkbar), daß die
sturen Politbürokraten a´ la Honecker & Co durch weisere Führer ersetzt
würden und endlich ein Sozialismus mit menschlicherem Antlitz sich entwickeln
könnte, der nur noch die Rahmendinge regelt und sonst die Menschen ihre
Geschick selber bestimmen ließe, der ökologische und sittliche Dinge in den
Vordergrund schiebt, der Welt ein Vorbild an Freundlichkeit und Vernunft würde.
Nun, die Mehrzahl der Menschen in der DDR wollten dies nicht, ihr Mißtrauen in
ein neues sozialistisches Experiment war wohl zu gut begründet. Daneben lockten
natürlich der westliche Konsum, über dessen zweifelhafte Wurzeln sie meinten
nicht nachdenken zu müssen (sie, die Zukurzgekommenen!); daß sie darüber
zukünftig mehr reflektieren werden als die Bundesbürger, ist wohl auch kaum zu
erwarten. Trotzdem habe ich noch die Hoffnung, daß sie nach einer ersten Phase
der Euphorie und des Konsumrausches - und der zweifellos eintretenden sozialen
Ernüchterung durch die zu erwartende Arbeitslosigkeit - vielleicht doch noch
einige sozialistische Werte einbringen werden; ich meine es würde unserem
Dschungelsystem nicht schaden.“
Diejenigen, die über Jahrzehnte am
lautesten über die Trennung Deutschlands gejammert und gehetzt haben, waren es,
die eine von den Sowjets in den fünfziger Jahren angebotene Vereinigung zu
einem neutralen Staat ablehnten. Besonders publik wurde das aber nicht, denn
stets wurde nur gesagt, daß die Russen an der Teilung schuld seien. Nun haben
die Sowjets unter Gorbatschow sogar ihre Forderung nach Neutralität
fallengelassen, die eigentlich nur zu verständlich war, angesichts der zwanzig
Millionen Toten, die sie der deutsche Überfall der Naziarmee gekostet hatte.
(Seit ich denken konnte, habe ich mich dafür immer geschämt. Ich schämte mich
einem Volk anzugehören, daß, statt sich der begangenen Verbrechen an den Russen
zu schämen, gerade dieses Volk wie potentielle Verbrecher behandelte. Mir kam
das vor, als würde ein Mörder vor den Angehörigen der Opfer warnen.) Aber vielleicht standen hinter
Adenauer die westlichen Allierten, und er hatte die Vereinigung nur als deren
Strohmann abgelehnt. Ich gestehe, das ist ein böser Verdacht, und falls er
nicht zutreffen sollte, bitte ich ihn zu entschuldigen. Aber wir werden jetzt
ja sehen, wer wirklich am meisten gegen die Vereinigung der beiden deutschen
Staaten sich streuben wird: die Russen oder die Westmächte. Mit ihrer Ablehnung
eines neutralen Deutschlands zeigen sie ja bereits recht offen ihr Mißtrauen,
denn mit der Forderung nach weiterer Einbindung Deutschlands in die NATO wollen
sie ja auch eine weitere Besetzung unseres Landes durch ihre Truppen rechtfertigen.
In einem Fernsehbeitrag wurde aus England berichtet, daß dessen veraltete
Industrie voll auf der Rüstungsschiene fährt, ja, ein Gewerkschaftsboss
beschwor Leid und Verelendung hunderttausender Rüstungsarbeiter, wenn in der
Rüstung durch die sich abzeichenende Entspannung größere Aufträge gestrichen
werden sollten. Die Rüstung sei das Herz der Produktion im Land, wurde wörtlich
gesagt. Viele Engländer haben also Angst vor Abrüstung, und ein Abzug der
Rheinarmee erscheint vielen als apokalyptische Vision. Es ist wirklich zum
Kotzen, daß Waffen Mordinstrumente sind, berührt offenbar nur diejenigen, deren
Einkommen nicht von ihnen abhängt...“ „1989 Sozialismus Ade Die US-amerikanische Art zu leben sei
einem Sauerteig vergleichbar, der selbst den größten Teig durchsetzt, schrieb
Brecht einmal in einem reimlosen Gedicht im ersten Drittel des Jahrhunderts. Die
Gegenwart zeigt, daß sich in den sechzig Jahren seither nichts geändert hat.
Die ehemals sozialistischen Staaten werfen alle ihre Errungenschaften über
Bord, ihrer Bevölkerung kann es dabei gar nicht schnell genug gehen. Auch wenn,
zugegeben, ihr sogenannter Sozialismus nur ein Zerrbild der von seinen
geistigen Vätern unter der Barbarei des Kapitalismus geträumten Hoffnungen war,
so erstaunt mich doch der zu Tage tretende Haß und die Blindheit der Menschen,
wie sie in jene Verhältnisse zurückstolpern, die zu verlassen ihre Großeltern
einmal alles gegeben haben. Sie wollen keinen neuen, menschlicheren Sozialismus,
mit weniger Bürokratie und Partei, weniger Plan und weniger Gängelung. Wie
entsetzlich müssen diese Verhältnisse tatsächlich gewesen sein, daß sich die
Menschen lieber bedingungslos in die Arme derjenigen werfen, die bekanntermaßen
für Geld alles machen. Alles, sagen sie, nur kein neuer Sozialismus! Einen
dritten Weg lehnen sie ab, zu groß erscheint ihnen die Gefahr, daß die Planer
von gestern wieder erstarken könnten. Erst einmal anständigen Kapitalismus -
dann kann man ja weitersehen.... Vielleicht ist es aber gar nicht so
sehr das Erstreben vermehrter individueller Freiheit, denn wieviele Menschen
bei uns nützen diese schon tatsächlich? (die Menschen laufen eben gerne in der
Herde hinter Hammeln her); allgemein wird gemutmaßt, es ginge allein um die Hoffnung
auf größeren Konsum, um einen Platz am gefüllten Fleischtopf also, der aber bei
uns nur deswegen so gefüllt ist, weil seine Füllung die Überlegenheit des
kapitalistischen Systems anzeigen sollte (und weil ein guter Teil der Zutaten
in der ganzen Welt zusammengestohlen ist). Ob der Fleischtopf weiterhin so
gefüllt bleibt, wenn der Propagandaeffekt nicht mehr nötig ist, die Umwelt
daran zugrunde geht und die Armen im Süden einmal aufbegehren, wird sich bald
zeigen. Welche Lehren sind zu ziehen? Ist es
nun müßig, für die Menschen ein gerechteres Gesellschaftssystem zu erstreben,
da sie einfach nicht sozial zu kriegen sind, weil sie nicht gleich sein wollen,
weil sie sich in erworbenen Dingen unterscheiden wollen, weil sich stets in
einem Ausleseprozeß die schlechten Menschen an die Schalthebeln der Macht
drängen, weil jede neue Generation offenbar jeden Fehler selber machen will,
weil Egoismus sich scheinbar alleine vermittelt, auf Dauer immer erfolgreich
ist, soziales Denken und Verhalten dagegen ein unrealistisch hohes Maß an
Einsicht und Feingefühl verlangt...? Wer kann schon durch einen See schwimmen
ohne naß zu werden? Grad so ist es aber mit dem Egoistischen, also dem Bösen.
Doch wie soll man einen See trockenlegen, wenn er von sovielen Quellen und Sümpfen
gespeist wird? Die Lage erscheint hoffnungslos.Mit Luwig Hohl möchte ich sagen:
Die Menschen ändern sich nicht. Wenige doch. Die andern: Laß!“ Und hier gehts zu meinem Lied von 1990: "Von weitem alles golden glänzt"
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